Obwohl die Frist für die Offenlegung bereits im Mai 2021 endete, wurden deren Ergebnisse der Gemeindevertretung erst ein Jahr später zur Kenntnis gebracht. Dies geschah in Form von Beschlussvorschlägen zu den eingegangenen Anregungen aus den Stellungnahmen aus der Bürgerschaft (ca. 325) und seitens der Träger öffentlicher Belange (ca. 20), die von einem Planungsbüro im Auftrag der Gemeinde erarbeitet worden waren. Den Mitgliedern der Gemeindevertretung blieben also nur 2 Wochen zur Sichtung und Bewertung der Stellungnahmen statt eines ganzen Jahres, was möglich gewesen wäre. Verweigert wurde eine frühzeitige Einsichtnahme durch Bürgermeister Hennemann.
Planungs-, Landwirtschafts- und Umweltausschuss am 10. Mai 2022
Der Fachausschuss beriet über die eingegangenen Stellungnahmen, den Entwurf der 1. Änderung des Bebauungsplans ″Nördlich Darmstädter Straße″ sowie über den zweiten Nachtrag zum städtebaulichen Vertrag einschließlich mehrerer Gutachten.
Ulrich Friedrich Koch (KOMM,A) kritisierte zu Beginn der Beratungen das seit sieben Jahren laufende und jetzt zu Ende gehende Planungsverfahren zur Ortsmitte. Erklärung der KOMM,A-Fraktion zur Beratung der Bauleitplanung zur Ortsmitte
Christopher Schuldes (FDP) beklagte allgemein Vielzahl und Umfang der Beratungsunterlagen. Zur Bauleitplanung selbst bleibe die FDP bei ihrer zustimmenden Haltung, wie sie seit 2016 vertreten worden sei.
Alexander Reinfeldt (CDU) beklagte, dass die Nachvollziehbarkeit der Beratungsunterlagen sehr schwierig sei. Als Gemeindevertreter müsse man sich aber darauf verlassen können, dass die Verwaltung sauber gearbeitet habe. Die seitens KOMM,A geäußerte Kritik am Bauvorhaben ′Neue Mitte’ teile er überwiegend nicht. Zukünftig müsse man bei Bauleitplanungen aber neue Wege ausprobieren.
Vor den Abstimmungen gab es lediglich noch wenige Sachfragen. Diese bezogen sich zum großen Teil auf Angelegenheiten, die erst im Baugenehmigungsverfahren geregelt werden. (Bauordnungsrecht statt Bauplanungsrecht)
Die Abstimmungen zu den Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange, aus der Bürgerschaft, zum zweiten Nachtrag zum städtebaulichen Vertrag und über den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan ″Nördlich Darmstädter Straße, 1. Änderung″ brachten alle das gleiche Ergebnis: 5 ja seitens der Fraktionen SPD, CDU und FDP, 2 nein seitens KOMM,A ohne Enthaltungen.
Nach der Abstimmung griff Bürgermeister Hennemann (SPD) die Elisabeth Jung (KOMM,A) heftig an. Sie habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung in einem Beitrag vorgeworfen, die Stellungnahmen aus der Bürgerschaft seinen nicht korrekt in die Beschlussunterlagen eingearbeitet worden. Sie würde damit seine Mitarbeiter:innen in der Verwaltung zu Unrecht diskreditieren. Er verlange dafür von ihr eine Entschuldigung. Elisabeth Jung antwortete darauf, dass sie Kritik nicht an den Mitarbeiter:innen der Verwaltung, sondern an dem Verfahren als auch seiner Rolle bei der vorliegenden Bauleitplanung geäußert habe.
Gemeindevertretung am 19. Mai 2022
Unmittelbar vor der Sitzung der Gemeindevertretung übergab die Bürgerinitiative Ortsmitte Bickenbach dem Parlamentsvorsitzenden Nils Zeißler (CDU) ihre Sammlung von 724 Unterschriften mit den Forderungen für
[Siehe auch Erklärung der BI Ortsmitte zur Übergabe der Unterschriften]
Vor der parlamentarischen Beratung zur Ortsmitte war die mögliche Befangenheit von Mitgliedern der Gemeindevertretung zu klären. Je ein Mitglied der Fraktionen von SPD und CDU erklärten sich im Sinne des § 25 Hessische Gemeindeordnung (HGO) ″Widerstreit der Interessen″ selbst für befangen. Auf direkte Nachfrage, bezogen auf den Sachverhalt ihrer unmittelbaren räumlichen Nachbarschaft als Anlieger des zukünftigen Bauvorhabens, verneinten zwei Mitglieder der KOMM,A-Fraktion eine Befangenheit. Bei der anschließenden Abstimmung erklärte eine Mehrheit der Gemeindevertretung auch diese Kollegen für befangen. Von den anwesenden 21 Mitgliedern der Gemeindevertretung durften also 4 weder an der Beratung noch an den Abstimmungen dazu teilnehmen.
Über eine mögliche Befangenheit von Parlamentsmitgliedern wird nicht inhaltlich debattiert, sondern lediglich abgestimmt. Aus diesem Grund hatten die beiden Fraktionsmitglieder von KOMM,A ihre Sicht über Befangenheit bereits vor der Sitzung der Gemeindevertretung schriftlich mitgeteilt.
Zu Beginn der Sitzung stellte die KOMM,A-Fraktion zwei Anträge:
Der Antrag auf Nicht-Befassung wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt (4:12:0),
ebenso der Antrag bezüglich Änderungen an der Planung (4:13:0).
Eine Debatte fand nicht statt, weder über den Sachverhalt der bereits vorliegenden Baugenehmigung, ermöglicht durch das Einvernehmen des Gemeindevorstandes, noch über Inhalte möglicher Planungsänderungen.
Bürgermeister Hennemann (SPD) hatte zuvor lediglich beklagt, KOMM,A hätte solche Änderungen doch besser schon vor einem Jahr beantragen sollen. Jetzt müsse ggfs. eine neue Offenlegung erfolgen.
KOMM,A verwies in einer kurzen Replik auf frühere Stellungnahmen und Änderungsanträge zur Planung. [hier Beispiele:
Martina Riege-Barth (SPD) begründete die Ablehnung ihrer Fraktion mit dem Verweis darauf, dass mit den Beratungen über die Einwendungen im Rahmen der Offenlegung alle Punkte aufgegriffen und abgelehnt worden seien.
In der weiteren Debatte gab es jeweils einen längeren Beitrag zur Bauleitplanung für die Ortsmitte.
Anstelle einer Wiederholung grundsätzlicher Positionen stellte Ulrich Friedrich Koch (KOMM,A) mit seinem Beitrag den Kolleg:innen der Gemeindevertretung wie den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern einen Katalog von Fragen zum Thema Ortsmitte.
Martina Riege-Barth (SPD) begann ihren Beitrag mit einem Lob für die Verwaltung und für die Arbeit des Planungsbüros. Die Unterlagen hätten leicht durchgearbeitet werden können, da vieles bereits bekannt gewesen sei. Aus Sicht ihrer Fraktion habe eine verdichtete Bebauung innerörtlich Vorrang vor einer weiteren Flächenversieglung an der Peripherie. Der Bau einer Tiefgarage sei heute modern und einer oberirdischen Parkfläche vorzuziehen. Es gebe in Bickenbach Bedarf für das, was jetzt gebaut werden solle. Heute befände man sich am Ende eines ausführlichen Diskussionsprozesses. Sie appellierte, eine parlamentarische Entscheidung darüber zu akzeptieren und diese nicht juristisch weiter zu verzögern. Sie beklagte die ″Fehlentwicklung” der Streitkultur und eine vergiftete Atmosphäre. Sie habe überhaupt kein Verständnis für die Tatsache, dass im Widerstand gegen die Bauleitplanung für die Ortsmitte teilweise parlamentarisch und teilweise außerparlamentarisch vorgegangen worden sei.
Christopher Schuldes (FDP) kritisierte die Kürze der Zeit, die für die Bearbeitung der Beratungsunterlagen zur Verfügung gestanden habe. In seinem weiteren Beitrag beantwortete er einige der von KOMM,A vorgetragenen Fragen aus seiner Sicht.
Alexander Reinfeldt (CDU) bezog sich ebenfalls auf die KOMM,A-Fragen mit der Äußerung, er würde sich gerne heute schon an dem Zeitpunkt fünf Jahre nach Fertigstellung der geplanten Bebauung befinden, um dessen Ergebnis bewerten zu können. Er lobte die Ernsthaftigkeit der Debatte in den letzten fünf Jahren über die Bauleitplanung zur Ortsmitte, auch wenn er deren Ton und Art nicht immer als angemessen erlebt habe. Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden Bebauungsplan würden die Probleme aus der ersten Bebauungsplan-Satzung vom Januar 2018 geheilt. Er bitte darum, das Vorhaben nicht noch weiter zu verzögern. Sicherlich müsse sich die Gemeinde mit Vorstellungen über ihre zukünftige Entwicklung befassen. Es brauche ″neue Formate″, wie wir zu Entscheidungen kommen.
Die vier Abstimmungen über
brachten alle das gleiche Ergebnis: 13 ja seitens der Fraktionen SPD, CDU und FDP, 4 nein seitens KOMM,A, ohne Enthaltungen.
Kommentar
Eine wirkliche Auseinandersetzung über die Inhalte der Bauleitplanung zu Bickenbachs Ortsmitte im Parlament fand nicht statt – wie übrigens schon seit dem VGH-Urteil vom Mai 2019 nicht mehr. Schon als der Bebauungsplan vom Januar 2018 vom Gericht für unwirksam erklärt worden war hatte BGM Hennemann sofort verkündet, man werde die Planung im gleichen Sinne und mit gleicher Zielsetzung fortführen. Bei verschiedenen Debatten zur Bauleitplanung in den Jahren 2019 bis 2021 wurden von KOMM,A Argumente zu den aus ihrer Sicht grundlegenden Fehlern vorgetragen – eine inhaltliche Debatte dazu wurde nicht geführt. Auf der anderen Seite blockierte Bürgermeister Hennemann eine gründliche Auseinandersetzung mit den Einwendungen zum Bebauungsplan durch seine Weigerung, diese den Fraktionen frühzeitig, also schon im Mai 2021 vor einem Jahr, zugänglich zu machen. 13 Tage vor der Parlamentssitzung gab es dann über 300 Seiten Beratungsunterlagen zur Bearbeitung durch die Parlamentarier:innen. Zeit für eine gründliche Auseinandersetzung fehlte gänzlich.
Christopher Schuldes hatte den Mut, einige der von KOMM,A aufgeworfenen Fragen spontan zu beantworten. Er stimmte danach dem Kommentator zu, dass man diese Fragen im Vorfeld der aktuellen Bauleitplanung vor sechs Jahren hätte stellen und beantworten müssen. Alexander Reinfeldt gab zu erkennen, dass sich das Parlament mit der gewünschten zukünftigen Entwicklung der Gemeinde hätte auseinandersetzen und dass neue Formate für diesbezügliche Entscheidungsfindungen hätten gefunden werden müssen. Warum musste jetzt der Satzungsbeschluss übers Knie gebrochen werden, wenn offensichtlich die Erkenntnis dämmert, woran das aktuelle Planungsverfahren krankt?
Die Bürgerschaft wurde zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung über die Planung zur Ortsmitte nicht gehört und nicht beteiligt – abgesehen von der formalen Bürgerbeteiligung über das Offenlegungsverfahren. Im Januar 2018 wurden der Gemeindevertretung 751 Unterschriften und jetzt erneut 724 Unterschriften vorgelegt mit der Forderung nach mehr Information über die Ortsmitte-Planung und mehr Bürgerbeteiligung daran. Diese Appelle verhallten ungehört. Sie waren dem Bickenbacher Gemeindeparlament damals wie aktuell keine Beachtung und keine Bemerkung wert.
Wenn eine Fehlentwicklung der Streitkultur beklagt wird, werden Krokodilstränen vergossen. Wo bleibt die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, bevor man andere kritisiert?
Im Verlauf der öffentlichen Planungsausschuss-Sitzung am 5. Juni 2018 wurde gegenüber Kritikern des Bauvorhabens ’Neue Mitte‘ pauschal der Vorwurf der ’Hetze‘ erhoben. Bürgermeister Hennemann (SPD) kritisierte damals generell eine ″Hetzkampagne″ seitens der Gegner der ″Neuen Mitte″. SPD-Fraktionsvorsitzender Schmöker äußerte, dass in der öffentlichen Debatte ″unverfroren und anonym gehetzt″ werde. Kein Bedauern und keine Entschuldigung dazu bis heute!
Wieder entgleist Bürgermeister Hennemann verbal, diesmal gegenüber der Gemeindevertreterin Elisabeth Jung, indem er ihr fälschlicherweise Kritik an Mitarbeiter:innen der Verwaltung unterstellt und sie im gleichen Atemzug auffordert, sich dafür zu entschuldigen. Damit präsentiert er sich demonstrativ als Schutzpatron der Belegschaft. Dahinter steckt wohl eher eine Retourkutsche zur auch von KOMM,A geforderten Einsetzung einer Personalkommission.
Der Vorwurf, die Gegner der Bauleitplanung arbeiten parlamentarisch und außerparlamentarisch für ihre Ziele, verblüfft. Welches Demokratieverständnis liegt einer solchen Kritik zugrunde?
Vorläufiges Fazit:
KOMM,A hat sich bemüht, zur Planung der neuen Ortsmitte nicht allein das abzuwägen, was rechtlich möglich, sondern was gut für Bickenbach ist.
Dazu können wir jederzeit öffentlich stehen.
Bickenbach im Mai 2022
Ulrich Friedrich Koch
Siehe auch Presseberichterstattung im Darmstädter Echo vom 21. Mai 2022
Berichterstattung im Bergsträßer vom 25. Mai 2022: