Bickenbach, den 11. Oktober 2024
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ein mir persönlich gut bekannter Bürger Bickenbachs schrieb Mitte August diesen Jahres eine Email an die politisch Verantwortlichen Bickenbachs. Darin kritisierte er deutlich das Bauprojekt in der „Neuen Mitte“ als „Koloss“. Unter anderem stellte er Überlegungen an, dass die Gemeindekasse ein paar Milliönchen mehr habe und auf Privatkonten von Mitgliedern der Gemeindevertretung der eine oder andere Tausender mehr liege. Dies sei aber eine bösartige Unterstellung. Fakt hingegen sei, dass durch den Koloss die Aufenthaltsqualität in der Ortsmitte auf Generationen schlechter sein werde.
Er bat mich, ihm die erforderlichen Mailadressen mitzuteilen. Von mir bekam er die entsprechenden Kontaktdaten des Bürgermeisters, des Vorsitzenden der Gemeindevertretung sowie der vier Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen.
Am 19. September 2024 befasste sich der Ältestenrat der Bickenbacher Gemeindevertretung unmittelbar vor deren Sitzung mit der Angelegenheit.
Im Anschluss an die Sitzung der Gemeindevertretung wurde ich vom Vorsitzenden der Gemeindevertretung im Auftrag des Ältestenrates angesprochen. Er berichtete mir, dass der Ältestenrat das Verfahren, wie der Mailverfasser an die Adressen der politischen Mandatsträger gekommen sei, besprochen habe. In dieser Angelegenheit hätte man erwartet, dass ich sowohl als stellvertretender Vorsitzender der Gemeindevertretung als auch aufgrund der persönlichen Nähe zu dem Mailverfasser hätte darauf hinwirken sollen, die Versendung einer solchen Email zu überdenken.
Nach langem Nachdenken über den gesamten geschilderten Vorgang habe ich mich dazu entschieden, mein Amt als stellvertretender Vorsitzender der Bickenbacher Gemeindevertretung mit sofortiger Wirkung niederzulegen.
Dafür sprechen aus meiner Sicht mehrere Gründe:
1. Umgang mit Kritik aus der Bürgerschaft seitens politisch Verantwortlicher
Ein Bürger übt scharfe Kritik an einem Bauprojekt im Ort und deutet an, man könne zu dem Schluss kommen, dass bei der Planungsentscheidung des Parlaments Bestechung im Spiel gewesen sei. Anstatt sich damit zu befassen, was Bürger zu solchen Mutmaßungen bringt, regt man sich über die Kritik auf.
Aktive einer Bürgerinitiative sammeln Unterschriften zu einem Appell an die Gemeindevertretung, eine Planungsentscheidung zu überdenken. Statt den Diskurs zu suchen und sich mit den Argumenten auseinander zu setzen, werfen politisch Verantwortliche unserer Gemeinde den Akteur*innen Hetze vor: Im Verlauf der öffentlichen Planungsausschuss-Sitzung am 5.06.2018 kritisierte Bürgermeister Hennemann generell eine ’Hetzkampagne‘ seitens der Gegner der ’Neuen Mitte‘. SPD-Fraktionsvorsitzender Schmöker äußerte, dass in der öffentlichen Debatte ’unverfroren und anonym gehetzt‘ werde.
Im letztgenannten Beispiel wurden nicht Mutmaßungen angestellt, sondern Tatsachenbehauptungen getätigt. Obendrein wurden diese Vorwürfe pauschal geäußert, so dass man sich individuell dagegen nicht wehren konnte.
Unter anderen die gleichen politischen Verantwortlichen werfen mir jetzt vor, meinen Bekannten vor Versendung der Mail nicht davon abgeraten zu haben…
Dies entspricht in keiner Weise meinen Vorstellungen vom Umgang mit Kritik !
2. Erreichbarkeit von politisch Verantwortlichen
Ein Bürger möchte in einer Mail Kritik an politischen Entscheidungen äußern. Statt selbst zu recherchieren – die Erreichbarkeit der politischen Akteurinnen und Akteure über die Websites der Gemeinde bzw. der Ortsverbände der politischen Parteien ist ja gegeben – fragt er einen Ortsparlamentarier an, der Auskunft gibt. Darüber regen sich politisch Verantwortliche in Bickenbach offensichtlich auf…
Meine Grundüberzeugung ist: Politisch Verantwortliche müssen Rechenschaft über ihr Tun ablegen und erreichbar sein. Die Herausgabe war für mich eine Selbstverständlichkeit !
3. Zweierlei Maß bei der Bewertung von „Angriffen“ auf Mandatsträger*innen
Der Vorwurf der Hetze wurde als Tatsache hingestellt. Betroffen waren unter den Aktiven der „Bürgerinitiative Ortsmitte“ mehrere Mitglieder der Gemeindevertretung, so auch meine Person. Die Ankläger haben ihre Vorwürfe bis heute – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht zurückgenommen. Kein politisch Verantwortlicher in Bickenbach hat sich über diese Entgleisung und Beschimpfung aufgeregt bzw. deren Zurücknahme gefordert.
Die in einer Email geäußerten Gedankenspiele eines Bürgers werden dagegen skandalisiert…
Dies riecht nach Doppelmoral !
Am 22. April 2021 wurde ich von der Bickenbacher Gemeindevertretung zu einem ihrer stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Nils Zeißler äußerte während der gleichen Parlamentssitzung anlässlich seiner Wahl zum Vorsitzenden des Gremiums unter anderem:
„Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und unserer Gemeinde erwarten von der Politik, dass man die gestellten Aufgaben angeht und Lösungen der Probleme in einer konstruktiven Diskussion findet. In der heutigen Zeit wächst das Bedürfnis nach einer anerkennenden Kommunikation und des Miteinanders, zu denen man einen respektvollen Umgang, aber auch Wertschätzung des Gegenüber zählen muss.
Es gilt den Respekt füreinander zu haben, nicht jeden persönlichen Spielraum maximal ausnutzen, ein offenes Ohr haben für die Argumente des anderen, ihn anerkennen mit seiner anderen Meinung. Mich persönlich hat der Satz unseres Hessischen Ministerpräsidenten geprägt: Der politische Mitbewerber könnte auch Recht haben.“
Meiner Auffassung nach werden wir in der Bickenbacher Gemeindevertretung derzeit den geäußerten Ansprüchen nicht gerecht. Daher ziehe ich durch die Niederlegung meiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender eine persönliche Konsequenz.
Mit freundlichen Grüßen Ulrich Friedrich Koch