Am Platz der Erinnerung und des Gedenkens hing seit Ostern 2022 eine Regenbogenfahne mit der weißen Aufschrift „PEACE“, aufgehängt durch die Personen, die sich hier seit Beginn des Ukraine-Kriegs täglich zur Mahnwache für den Frieden treffen. Am 18. Mai 2023 wurde der Fahnenmast aus der Bodenverankerung gehoben und die Fahne entwendet. Eine auf private Initiative hin neu aufgehängte Fahne wurde in der Nacht von 27. auf den 28. Mai ebenfalls entwendet. Dieses Mal mutmaßlich in einer gezielten Attacke, weil das Entfernen der Fahne ohne Werkzeug nicht möglich gewesen wäre.
Der Gemeindevorstand entschied daraufhin, eine neutrale Friedensfahne anzuschaffen – eine weiße Fahne mit einer Friedenstaube und der Aufschrift „Frieden“ – und in einer offiziellen Zeremonie am 10. Juni aufzuhängen
Diese Ereignisse kommentierte Leah Strubelt in der Postille Ausgabe 2/2023:
Eine neutrale Flagge – was bedeutet das eigentlich? Die Regenbogenflagge ist seit den 60er Jahren ein bekanntes Symbol der Friedensbewegung. Seit den 70er Jahren ist sie aber auch ein Symbol der LGBTQ*-Bewegung und wird auch heute noch von Menschen gehisst, die sich gegen die Diskriminierung von homosexuellen, bisexuellen, trans* und queeren Menschen einsetzen. Die Flagge der Friedensbewegung unterscheidet sich von der LGBTQ*-Flagge durch die Aufschrift „PEACE“, so wie er auch auf der Fahne am Platz der Erinnerung und des Gedenkens zu finden war.
Steckt ein queerfeindlicher Hintergrund hinter dieser Tat? Wurde die Fahne aufgrund ihrer Ähnlichkeit zur LGBTQ*-Fahne heruntergerissen? Darüber kann man nur spekulieren. Fakt ist aber, dass die Zahl der registrierten Fälle von Hasskriminalität gegen LGBTQ*-Personen steigt. 2022 wurden mehr als 1400 solcher Straftaten registriert – die Dunkelziffer ist wahrscheinlich weitaus höher. Rechte Strömungen arbeiten aktiv daran, LGBTQ*-Personen ihrer Rechte zu berauben und betreiben Hetze gegen sie.
Auch die Gemeinde scheint von einem queerfeindlichen Hintergrund auszugehen. Sonst wäre kaum die Rede davon, dass man keinen „Interpretationsspielraum“ lassen will und deshalb eine weiße Fahne gewählt hat. Aber gerade dann ist die Reaktion der Gemeinde auf den Vorfall mehr als enttäuschend. Die neue Flagge ohne Ähnlichkeit zur LGBTQ*-Flagge hängt seit Juni unberührt am Platz der Erinnerung und des Gedenkens. Bürgermeister Markus Hennemann sieht das als Erfolg und Zeichen, dass nun auch in diesem Konflikt Frieden geschaffen wurde. Aber stimmt das wirklich, oder wurde hier nur das Symptom bekämpft und queerfeindlichen Strömungen nachgegeben, während man vor dem eigentlichen Problem beide Augen fest verschließt?
die keine Verwechslungsgefahr mit der LGBTQ*-Fahne bietet, und es dann auf sich beruhen zu lassen. Die Antwort auf queerfeindliche Übergriffe kann nicht sein, LGBTQ*-Menschen und Themen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, damit niemand mehr negativ darauf reagieren kann. Das ist genau das, was mit so einer Tat erreicht werden soll – die Täter*innen hatten Erfolg, die Gemeinde hat nachgegeben.
Aber immer weiter Regenbogen-Friedensflaggen aufzuhängen ist ebenfalls keine Lösung. Die Flagge, die dort hing, war durch den Aufschrift „PEACE“ eindeutig als Friedensfahne zu erkennen und sollte nie als Symbol der LGBTQ*-Bewegung dienen. Queere Menschen waren im Laufe der Geschichte häufig Opfer politischer und systematischer Verfolgung, auch in Deutschland. Beispielsweise zählen sie zu den Opfergruppen des Nationalsozialismus, wo sie systematisch verfolgt und ermordet wurden. Paragraph 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, wurde erst 1994 abgeschafft. Ein Gedenken am Platz der Erinnerung und des Gedenkens wäre also definitiv nicht unangebracht, sollte dann aber in anderer Form stattfinden, gezielt und gewollt.
Im Kern ist die Frage überhaupt nicht, welche Flagge am Ende am Platz der Erinnerung und des Gedenkens hängt, sondern wie die Gemeinde Bickenbach mit so einer mutmaßlich queerfeindlichen Tat umgeht. Bickenbach darf kein Ort werden, in dem die Angst vor queerfeindlichen Übergriffen so groß ist, dass man nicht einmal mehr eine Regenbogen-Friedensfahne aufhängen kann. Anstatt es beim Aufhängen der weißen Fahne zu belassen, sollte sich die Gemeinde bewusst machen, dass es auch in Bickenbach Probleme mit Queerfeindlichkeit gibt, so wie überall sonst auch. Erst im Juli sollte in Seeheim-Jugenheim der Vortrag eines rechten Verschwörungstheoretikers stattfinden, der mit aller Heftigkeit gegen LGBTQ*-Menschen hetzt. Ein durch Vielbunt e.V. organisierter Protest führte letztendlich dazu, dass die Veranstaltung abgesagt wurde. Das Problem ist näher, als wir es gerne wahrhaben würden. Auch in Bickenbach leben LGBTQ*-Personen, wie überall sonst auch. Auch für sie sollte Bickenbach selbstverständlich ein sicherer Ort sein. Doch welches Symbol senden wir als Gemeinde, wenn unsere Antwort auf so einen Übergriff nur darin besteht, eine weiße Fahne aufzuhängen und ansonsten zu schweigen?
Die Gemeinde wird dieses Problem nicht alleine lösen können. Dafür ist es zu tief in unserer Gesellschaft verankert. Aber Bickenbach kann schon mit einfachen Mitteln dazu beitragen, dass sich wirklich alle Menschen in unserer Gemeinde willkommen fühlen können. LGBTQ*-Bürger*innen sollten das Gefühl haben, dass sich die Gemeindevertretung für sie einsetzt und ihnen im Angesicht von Queerfeindlichkeit den Rücken stärkt. Man könnte beispielsweise zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) am 17. Mai eine LGBTQ*-Regenbogenfahne am Rathaus hissen, oder im Juni zum Pride-Month. Auch was wäre nur ein Anfang, aber immerhin ein erster Schritt, der ein deutliches Zeichen gegen Queerfeindlichkeit und für Offenheit und Toleranz setzen würde. Wichtig ist aber vor allem, dass die Gemeinde bereit ist, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und dass queerfeindliche Taten deutlich verurteilt werden.
Bürgermeister Markus Hennemann lenkte bei der Podiumsdiskussion am 14. September auf das Thema angesprochen nur ab. Bickenbach sei tolerant – das sehe man ja daran, mit wie viel Offenheit die Geflüchteten aus der Ukraine hier aufgenommen wurden. Was das mit Queerfeindlichkeit zu tun haben soll bleibt ein Rätsel. Er betont, dass Menschen jeder „sexuellen Neigung“ in Bickenbach willkommen sind, scheint aber nicht bereit, etwas dafür zu tun. Der Platz solle für Frieden stehen, deshalb habe man sich für die Lösung mit der weißen Flagge entschieden – aber wenn dieser Frieden nur gilt, solange man sich queerfeindlichen Strömungen beugt, wenn dieser Frieden nicht für alle Bürger*innen gilt, kann man dann überhaupt von Frieden sprechen?