“Das Parlament steht am 19. Mai 2022 vor einer schwierigen Entscheidung. Es geht darum, gewählte Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter auf Basis des §25 HGO von einer parlamentarischen Entscheidung auszuschließen.
Maßgeblich entscheidend für eine Befangenheit ist, ob durch die Mitwirkung an einer Entscheidung konkrete, persönliche Vor- oder Nachteile entstehen, die den Blick auf das Gemeinwohl verändern und das Wohl der Gemeinde hinter eigene Interessen stellen. Diese müssen benannt werden.
Erklärung
Ich möchte nachfolgend erklären, weshalb ich für meine Person eine Abstimmung des Parlamentes gemäß §25 HGO, Abs. 3 fordere.
Nach Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt für Kommunalverfassungsrecht, ist der Sachverhalt in meinem konkreten Fall nicht eindeutig. Daher ist es mir nicht möglich, meine Befangenheit selbst zu erklären, da Ich es als meine Aufgabe sehe, eine große Bevölkerungsgruppe von Kritikern des infrage stehenden Projektes im Parlament zu vertreten.
Es gibt Argumente, die für eine Befangenheit im rechtlichen Sinne sprechen. Es gibt Gründe dagegen. Die Entscheidung darüber, ob eine Befangenheit vorliegt, kann Ihnen weder der Hessische Städte- und Gemeindebund noch die Gemeindeverwaltung oder Ihre Fraktionsspitze abnehmen.
„Ob ein Widerstreit der Interessen vorliegt, entscheidet das Organ oder Hilfsorgan, dem der Betroffene angehört oder für das er die Tätigkeit ausübt.“ (HGO §25, Abs. 3)
Bisher wurden gegenüber meiner Person keine konkreten Vor- oder Nachteile und somit Gründe benannt, die eine Befangenheit erklären würden. Gemäß der gültigen Rechtsprechung, muss jeder Fall individuell geprüft und abgewogen werden. Eine abschließende Rechtssicherheit kann nur eine gerichtliche Überprüfung schaffen.
Gründe für eine Befangenheit
Anlieger
Ich habe Grundbesitz im Plangebiet des Bebauungsplanes „Nördlich der Darmstädter Straße, 1. Änderung“. Dies kann einen Anfangsverdacht für eine Befangenheit begründen, da sich der Bebauungsplan unmittelbar auf mein Grundstück auswirkt. Es ist jedoch maßgeblich, ob es unmittelbare und konkret benennbare Vor- oder Nachteile gibt, die eine Befangenheit in diesem Fall tatsächlich auslösen. Die Neubebauung im angrenzenden Areal an sich führt nicht zu Vor- oder Nachteilen. Eine subjektive Einschätzung über eine Bebauung ist kein Vor- oder Nachteil.
Der Wert meiner Immobilie wird nicht beeinflusst. Der Wert ermittelt sich aus dem Gebäudezustand, der Ausstattung, dem Bodenrichtwert und den Ausnutzungsziffern. Keiner der Parameter wird durch den Bebauungsplan berührt.
Die Ihnen vorliegenden Abwägungen des Städteplaners kommen zu dem Schluss, dass es keine negativen (oder positiven) Auswirkungen gibt. Ebenso kam die Bauaufsichtsbehörde zum Schluss, dass keine drittschützenden Interessen berührt sind. Es gibt nach Einschätzungen der beteiligten Fachplaner, Behörden und der Gemeindeverwaltung keinerlei Vor- oder Nachteile.
Klage VGH Kassel
Ich habe als Person vor dem VGH in Kassel gegen den Bebauungsplan im Jahr 2019 erfolgreich geklagt. Klageberechtigt ist, wer in seinen Rechten betroffen sein kann. Formfehler haben zu einer erfolgreichen Klage geführt und nicht materielle Gründe, die einen Vor- oder Nachteil begründen könnten. Eine Normenkontrolle kann nur das formelle Zustandekommen eines Bebauungsplanes betrachten, nicht materiellen Inhalte.
Diese Klage wurde durch eine Bürgerinitiative und breite Bevölkerungsgruppe initiiert und getragen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Dieses habe ich als Privat- und Führungsperson einer Bürgerinitiative vor Gericht vertreten. Eine Bürgerinitiative kann nicht klagen. Dies kann nur eine natürliche Person, ein Anlieger.
Gründe gegen eine Befangenheit
Die hier anwesenden Personen kennen mein Engagement in den letzten 6 Jahren in Sachen „Neue Mitte“ und wissen, dass ich eine Entwicklung und Bebauung des Areals von Anfang an befürworte. Meine Kritik am Vorhaben und letztendlich am Bebauungsplan begründet sich beispielsweise auf städtebauliche Aspekte, die auch das Regierungspräsidium Darmstadt in Frage stellt, mit dem Ziel, Schaden von der Gemeinde abzuwenden.
Eine politische Vorbefassung mit einem Thema und auch das aktive Engagement in einer Bürgerinitiative sind vom Gesetzgeber geschützt und führen nicht zu einer Befangenheit, da dies die politische Willensbildung einschränken würde. Dies ist in aktueller Rechtsprechung klar in Leitsätzen formuliert, die wohlgemerkt konträr zu Kommentierungen der HGO stehen, die sich zum Teil auf Urteile aus den 1970er Jahren beziehen.
Dieses Engagement hat dazu geführt, dass auch Änderungen und Verbesserungen mit Zustimmung des Parlamentes und zum Wohle der Gemeinde in den Bebauungsplan eingearbeitet wurden. Nun steht die Abstimmung an, in der Sie darüber befinden müssen, ob ich zum Wohle der Gemeinde handle.
Satz 2 des §25 HGO, Abs.1.
Dieser ist gegenüber dem Satz 1 privilegiert und schützt Angehörige und Vertreter einer Bevölkerungsgruppe, die ein klar definiertes, gemeinsames Ziel verfolgen.
Ich befasse mich mit dem Bebauungsplan „Nördlich der Darmstädter Straße, 1. Änderung“ weit länger, als ich als Gemeindevertreter im Parlament tätig bin. Ich bin Sprecher und Mitbegründer einer Bürgerinitiative, die gemeinsam das Ziel verfolgt, eine maßvolle und ortsangepasste Bebauung durchzusetzen.
In dieser Bürgerinitiative sind sehr viele Menschen aus ganz Bickenbach engagiert. Alle vereint das gemeinsame Ziel. Sie alle erinnern sich an ca. 750 Unterschriften von Bickenbacherinnen und Bickenbachern unter einen Appell, der ebenso dieses Ziel verfolgte. Zur Sitzung der Gemeindevertretung am 19.5.2022 werden wieder hunderte Unterschriften aus ganz Bickenbach überreicht. Die große Anzahl zeigt, dass es sich nicht um ein Einzelinteresse handelt. Auch aus meinen persönlichen Einwendungen zum Bebauungsplan, die ich öffentlich gemacht habe, geht hervor, dass das Wohl der Gemeinde im Vordergrund steht.
Ich wurde nicht zuletzt von dieser Bevölkerungsgruppe im März 2021 ins Gemeindeparlament gewählt, um dieses gemeinsame Interesse dort zu vertreten.
Abschließende Worte
Sie sollten sich vor Ihrer Entscheidung im Klaren sein, welchen konkreten Vor- oder Nachteil ich im Sinne der Gesetzgebung durch mein Mitwirken erlangen könnte. Eine unrechtsmäßige Abstimmung über eine Befangenheit kann zu einer Nichtigkeit des Beschlusses zum Gegenstand führen.
In der vergangenen Legislaturperiode haben die Fraktionsvorsitzende von CDU und SPD in Redebeiträgen zur Neuen Mitte festgestellt, dass im Parlament wenig Baufachwissen besteht und man sich deshalb auf die Einschätzung eines Städteplaners – der vom Bauherrn bezahlt wird – verlassen muss. Sie stehen vor der Entscheidung, einen Bauingenieur aus den Reihen des Parlamentes auszuschließen.
Lassen Sie mich die Frage stellen, wie unbefangen wir allesamt in ein solch hochemotionales Thema gehen und ob im Allgemeinen noch zum Wohle der Gemeinde gehandelt wird. Unser Bickenbach spaltet sich in Kritiker und Befürworter des Bauvorhabens des Investors. Der Gemeindevorstand hat bereits am Parlament vorbei die Weichen gestellt, indem nicht-öffentlich für die mittlerweile erfolgte Erteilung der Baugenehmigung gesorgt wurde.
Es geht um den Bebauungsplan für unsere Ortsmitte, dessen Wirkung alle Bürgerinnen und Bürger und alle nachfolgenden Generationen unmittelbar ausgesetzt sind.”