Gemeindevertretung am 25. Februar 2021 – Debatte zur Bauleitplanung Ortsmitte
Im Vorfeld hatte KOMM,A beantragt, die Beratung über die Ergebnisse der Offenlegung bis nach der Konstituierung der neuen Gemeindevertretung nach der Wahl zurückzustellen. Dafür benannte man drei Gründe:
Dieser Antrag wurde von allen drei anderen Fraktionen abgelehnt.
Die Gemeindevertretung hat am 25. Februar 2021 über die Einwendungen zum Entwurf des Bebauungsplans ′Nördlich der Darmstädter Straße, 1. Änderung’ im Rahmen der dritten Offenlage im Sommer 2020 entschieden und eine vierte Offenlage beschlossen. Knapp 300 Einwendungen von etwa 80 Personen bzw. Gruppen aus der Öffentlichkeit wurden nahezu samt und sonders mit unterschiedlichen Mehrheiten abgelehnt, führten also nicht zu einer Änderung der Bauleitplanung. Eine vierte Offenlage wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und fast allen SPD-Parlamentarier*innen beschlossen.
Während der vorgeschalteten Fachausschuss-Beratung zur Bauleitplanung am 16. Februar 2021 gab es ausschließlich ausführliche Stellungnahmen seitens der KOMM,A-Fraktion und wenige Sachfragen seitens der SPD-Fraktion.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung über die Einwendungen fand nicht statt!
Anlässlich der Sitzung der Gemeindevertretung gab es von jeder Fraktion eine etwas ausführlichere Stellungnahme zum Sachstand der Bauleitplanung zur Ortsmitte.
Im Folgenden werden der Redebeitrag der KOMM,A-Fraktion sinngemäß und die der anderen Fraktionen in Auszügen inhaltlich wiedergegeben.
Redebeitrag des KOMM,A-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Friedrich Koch
Seit Mitte 2014, also seit bald sieben Jahren, ist die Bauleitplanung zur Ortsmitte Thema in der Gemeindevertretung. Jetzt geht die Amtszeit dieser Gemeindevertretung zu Ende. Über die letzten fünf Jahre beschäftigte sich das Parlament mit der Investorenplanung der Schlossallee GmbH für den Bereich nördlich der Darmstädter Straße. Heute ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Zum Schlossallee-Projekt
Das Investorenprojekt ist im Ort wie in der Gemeindevertretung hoch umstritten.
Jetzt befinden wir uns im Wahl’kampf’, aber die sogenannte ′Neue Mitte’ ist nicht wirklich umworbenes Thema. Wo bleibt die aktiv überzeugende Werbung für das Schlossallee-Projekt? In den Wahlprogrammen findet sich kaum etwas dazu. In den vergangenen 5 Jahren hörten wir seitens CDU und FDP nahezu gar nichts zur Verteidigung des geplanten Bauvorhabens, ausschließlich Altbürgermeister Martini legte sich dafür ins Zeug. Von Seiten der SPD gab es lediglich Klein-Klein, etwa zum Thema Fassadenfarbe, Klappläden ja oder nein bzw. zu Werbetafeln zur Straße hin. Das Thema der zu hohen Ausnutzungszahlen in der aktuellen Fassung des B-Plan-Entwurfs war bereits von der Bürgerinitiative Ortsmitte (BI) aufgegriffen worden.
Auch von den Investoren hören wir wenig. Bei der öffentlichen Erstvorstellung des Bauvorhabens auf einer Bürgerversammlung im Herbst 2016 wurde Herr Petersmann, einer der Investoren, vorgestellt als jemand, der selbst in der Nachbarschaft wohnt. Damit sollte seine Verbundenheit zur Region herausgestellt werden, einer, dem eine positive Entwicklung unserer Ortsmitte besonders am Herzen liege. Jetzt gibt es Gerüchte, dass die Investoren das Schlossallee-Projekt, sobald es fertig gestellt worden sei, verkaufen wollen. An öffentlicher Werbung für ihr Projekt taten die Investoren ihrerseits ausgesprochen wenig. In den hinter uns liegenden 5 Jahren gab es gerade Mal ein kleines Faltblatt dazu. Wo bleibt das von KOMM,A und der BI immer wieder geforderte 3-D-Modell, aus dem das Projekt mit seiner Einfügung in die Umgebungsbebauung klar ersichtlich wird? Die Öffentlichkeit kennt vom Schlossallee-Projekt nur ein autorisiertes Foto, dass in der Presse, zuletzt am 23.02.2021 im Darmstädter Echo, immer wieder zitiert wird, und wenige ′Visualisierungen’ in Briefmarkengröße aus der Begründung zum Bebauungsplan.
Zur Ortsentwicklung
Der vorliegende Bebauungsplanentwurf benennt als Ziel in nur drei Sätzen:
Eine Auseinandersetzung über die Planungsziele hat es im Gemeindeparlament nicht gegeben, siehe zuletzt den Verlauf der Fachausschuss-Sitzung am 16. Februar 2021.
Die gesamte Bauleitplanung ist ausschließlich am Investorenprojekt ausgerichtet.
Der KOMM,A-Antrag für eine vorausschauende umfassende Neuauflage der Bauleitplanung Ortsmitte vom Juni 2014 wurde vom Parlament mehrmals vertagt, bis der Gemeindevorstand der Gemeindevertretung einen Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans vorschlug, der allein die Realisierung des Schlossallee-Projekts beinhaltete. Eine Weiterentwicklung des ′Dorferneuerungskonzepts’ der Gemeinde aus den 80er Jahren des letzten Jahrhundert wurde gar nicht erst versucht. Alt-Bürgermeister Schemel und Klaus Böhme drehen sich im Grab herum. Herbert Engelhard als Akteur und Zeitzeuge hat sich ja öffentlich deutlich kritisch zur aktuellen Planung geäußert. Diese kurze Halbwertszeit von Planungskonzeptionen wird auch vor dem Schlossallee-Projektkonzept unserer Tage nicht halt machen.
Die ′Brache’ in der Ortsmitte, die als Begriff die Notwendigkeit des Handelns verdeutlichen soll, war im Bebauungsplan aus dem Jahr 1993 eine für das Planungsgebiet vormals durch B-Plan geschützte Grünfläche, nämlich die Gärten der Anlieger. Die Brache ist – von der Gemeinde geduldet – hausgemacht durch radikales Ausräumen der Landschaft und durch eine vorzeitige erteilte Abbruchgenehmigung. Das ist ′Ortsentwicklung mit Bagger, Säge und Sense’!
Mit dem von uns heftig kritisierten Unterwert-Verkauf der ehemaligen Gaststätte ′Zur Rose’ und einer Teilfläche des Hauses Burger an den Investor hat die Gemeinde in fahrlässiger Weise ein Faustpfand aus der Hand gegeben, direkt Einfluss auf die Bebauung der Grundstücksflächen ausüben zu können und obendrein Vermögenswerte verschenkt.
Von Anfang an hat es die Gemeinde für ihre Bauleitplanung zur Ortsmitte versäumt, die Chancen eines städtebaulichen Wettbewerbs und Unterstützung durch die Bau- und Planungsfachbereiche der umliegende Hochschulen zu suchen, eine Planungsalternative anzubieten und unabhängige Zweitmeinungen zu Fachfragen einzuholen.
Die Gemeindevertretung ist die verantwortliche Planungsinstanz. Die Argumente rund um die Planung und vor allem die Einwendungen aus der Offenlegung sind abzuwägen. Für letztere ist eine ausschließliche formale und rechtliche Prüfung eben nicht ausreichend. Neben Fachexpertisen sind die Alltagserfahrungen der OrtsbürgerInnen in den Abwägungsprozess miteinzubeziehen.
Das Gemeindeparlament ist Teil unserer ′Repräsentativen Demokratie’. Wen haben wir zu repräsentieren – den Investor oder das Gemeindevolk?
Zur Bürger*innen-Beteiligung bei der Bauleitplanung für die Ortsmitte
Nicht nur im Gemeindeparlament, sondern auch ortsöffentlich gab es keine organisierte Auseinandersetzung über Planungsziele für unsere Ortsmitte. In zwei kurz aufeinander folgenden Bürgerversammlungen im Herbst 2016 wurde lediglich das Investorenprojekt vorgestellt. Danach war diese wichtige Planung für mehr als 4 Jahre kein Thema mehr für die gemeindlichen Bürgerversammlungen, obwohl unsere Fraktion dies immer wieder gefordert hatte. Dieses Defizit ist mittlerweile immerhin der FDP aufgefallen, die im Dezember 2020 eine Initiative für eine moderierte, digitale Bürgerversammlung gestartet hat, auf der ′alle am Projekt beteiligten, als auch je ein Vertreter der Parteien und der Bürgerinitiative die Möglichkeit haben (sollen) zu Wort zu kommen.′ Eine wirkliche öffentliche Auseinandersetzung war aber nicht angedacht. Diese Initiative ist versandet.
Das bürgerschaftliche Engagement in Form der ′BI Ortsmitte Bickenbach’ wird von der Gemeinde nicht gewürdigt. Im Gegenteil: Das Engagement wird herabgewürdigt! Im Juni 2018 gipfelt dies im auf einer öffentlichen Fachausschuss-Sitzung von Bürgermeister Hennemann und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Schmöker vorgetragenen Vorwurf der ′Hetze’ gegenüber Aktiven in der Bürgerinitiative und von KOMM,A. Diese Vorwürfe sind bis heute nicht zurückgenommen worden.
Nach dem der Verwaltungsgerichtshof Hessen im Mai 2019 den im Januar 2018 beschlossenen Bebauungsplan zur Ortsmitte in Gänze für unwirksam erklärt hatte, hat das Gemeindeparlament die große Chance für Neuanfang im Dialog mit Bürger*innen vertan.
Was nützen der Bürgerschaft von dieser Gemeindevertretung beschlossene ′Richtlinien über Bürgerschaftliche Eingaben’, wenn an so wichtiger Stelle die notwendige umfassende Bürgerbeteiligung verweigert wird?
Die förmlich vorgeschriebene Offenlegung eines Bebauungsplans ersetzt nicht Konsensfindung und Kompromissbildung im Parlament und in der Bürgerschaft!
Auszüge aus den Redebeiträgen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Tim Schmöker
Zum Vertagungsantrag von KOMM,A hielt Schmöker eine Gegenrede: Es sei immer wieder das gleiche Muster. Sobald eine Sachentscheidung zur Bauleitplanung Ortsmitte anstehe, komme von KOMM,A ein Antrag für ein Moratorium oder eine Vertagung. Obendrein erhebe KOMM,A Vorwürfe gegen den Bürgermeister.
[KOMM,A hatte den Bürgermeister im Herbst 2020 öffentlich kritisiert, weil er den Fraktionen eine Einsichtnahme in die eingegangenen Stellungnahmen im Rahmen der Offenlage verweigert hatte – im Unterschied zur Praxis seines Amtsvorgängers Martini.]
Die Kommunalaufsicht habe dem Bürgermeister bestätigt, dass das Verfahren im Umgang mit den Ergebnissen der Offenlage rechtskonform sei.
Im Rahmen der Aussprache zur Bauleitplanung selbst reagierte Schmöker zunächst direkt auf den KOMM,A-Beitrag. KOMM,A und die Bürgerinitiative müssten sich selbst Rechenschaft über ihre Rolle in der politischen Auseinandersetzung über die ′Neue Mitte’ ablegen. Wenn man als Befürworter der Planung immer nur als Interessenvertreter des Investors dargestellt werde, erkläre dies das von KOMM,A kritisierte Schweigen in den politischen Debatten zur Planung.
In Bickenbach gebe es viele, die die vorliegende Planung gut fänden: ″Wir vertreten eine breite Mehrheit der Bürgerschaft!″
Ziele der Bauleitplanung seien: Ortsmitte beleben, Wohnraum schaffen, mehr Kaufkraft generieren und Vorrang einer Innenverdichtung vor Neuausweisung von Baugebieten in der Ortsrandlage.
Auszüge aus dem Redebeitrag von Christopher Schuldes (FDP)
″Warum soll ich denn verteidigen, was gut ist?″
Lediglich planungstechnische Fehler hätten die Zeit für die Bauleitplanung zur Ortsmitte verlängert. Die Planung sei im Januar 2018 eigentlich bereits abgeschlossen gewesen. Das Vorhaben läge in unserem Interesse: Leerstand, ungenutzte Flächen, Einzelhandelssterben, die Ortsmitte sei ausgeblutet. Uns wurde vom Investor ein Angebot für die Bebauung der Ortsmitte gemacht. Pfungstadt mache uns vor, wie man ein funktionierendes Zentrum schafft.
Die KOMM,A-Beiträge zur Planung zeigten unterschiedliche Ansichten zur Problemlösung auf – dies bedeute gelebte Demokratie. Das gewählte Bauleitplanverfahren sei für uns das richtige. Durch die vorgelegten Beratungsunterlagen und Gutachten fühle er sich gut und umfangreich informiert.
Auszüge aus dem Redebeitrag des CDU-Fraktionsvorsitzenden Timo Wesp
″Der CDU gefällt das Schlossallee-Projekt!″
Richtig sei aber auch, dass nicht alle in der CDU darüber einer Meinung seien. Der überwiegende Teil der Bickenbacher Bevölkerung fände das Projekt gut.
Man respektiere das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom Mai 2019. Es müsse beachtet werden, dass es im Gemeindeparlament weder ausgewiesene Jurist*innen noch Bauingenieur*innen gäbe – man müsse sich auf die zu Rate gezogenen Fachleute verlassen können.
Zum öffentlich geäußerten Vorwurf eines Unterwertverkaufes der ehemaligen Gaststätte ′Zur Rose’ verweise er darauf, dass die Kommunalaufsicht diesbezüglich kein Problem erkannt habe. Wer dies anders sehe möge dies gerichtlich überprüfen lassen.
Die CDU stimme sowohl den Beschlussvorschlägen des Gemeindevorstandes zu den Stellungnahmen im Rahmen der Offenlegung als auch der erneuten Offenlegung zu.
Die politischen Auseinandersetzungen zur Bauleitplanung für die Ortsmitte – “Bebauungsplan ‘Nördlich der Darmstädter Straße, 1. Änderung’ – wird seit fast sieben Jahren geführt:
Chronologie seit 2014 – Zeitschiene
In zwei Archiven wird diese Auseinandersetzung umfänglich dokumentiert und kommentiert: Projekt ‘Neue Mitte’ der Investorengruppe “Schlossallee Bickenbach GmbH & Co. KG”